Linguistique / Linguistik :
Sprache und Denken...
Vom Weltmenschen…..
« Ich habe dem Migranten, der gestern aus Erythrea eingetroffen ist und arbeitsbedürftig war, eine anständige und gut bezahlte Arbeit.... » - an dem Punkt, weiß ich immer noch nicht, was der Sprecher oder Schreiber mir sagen will: es fehlt mir die Hauptinformation, die dem Ganzen einen Sinn geben soll. Selbstverständlich kann ich einige Hypothesen formulieren: Soll es « gegeben », « vermittelt », « verschafft » oder gar « abgelehnt », ….sein?
Aber nein, da kommt endlich der Schlüssel: « zugewiesen ». Und nur dieses Wort gibt dem Ganzen den erzielten Sinn: « zugewiesen » heißt es. « Zugewiesen » beinhaltet «geben » selbstverständlich, aber auch « müssen » und deutet auf eine Hierarchie. Es ist nicht einfach « gegeben ».
Kurz: erst das ganz letzte Wort bringt mir die Bedeutung des ganzen Satzes ; und ich muss gespannt bis zum letzten Wort warten, bis ich den Schlüssel bekomme.
Sagen wir das mal auf Französisch.
« J'ai assigné un travail correct et bien payé au migrant qui est arrivé hier d'Erythrée et qui avait besoin de travail. »
Schon beim zweiten Wort « assigné » weiß ich, worum es geht. Was nach dem Verb, der Hauptinformation, kommt, ist nur noch zweitrangige, ergänzende Information.
« Les têtes se forment sur les langages », schrieb zu seiner Zeit Jean-Jacques Rousseau.
Wie oft habe ich beobachten können, wie sich französische und deutsche Teilnehmer bei Besprechungen verhalten. Sicherlich wird das karikaturartig klingen und man darf da nicht generalisieren. Aber es liegt schon etwas dran. In deutschen « ernsten » Besprechungen bemerkt man beim ersten Blick die Aufmerksamkeit, die Konzentration und die Stille der Teilnehmer: klar sie müssen ständig warten, bis am Ende DIE Information kommt, aufmerksam und konzentriert sein. Kein Durcheinanderreden.
Im Französischen weiß ich doch sofort, was kommt. Die Versuchung der Ablenkung ist groß: man schenkt dem Sprecher weniger Aufmerksamkeit, man weiß doch, wo es hingeht. Man flüstert dem Nachbarn etwas zu, man kritzelt auf einem Blatt oder warum nicht, spielt mit dem Handy...
Aber dies hat auch tiefer liegende Konsequenzen. Ohne Sprache kein Denken. Sprache prägt das Denken, den Entwicklungsprozess des Denkens, der Gedanken und ihres Ausdrucks. Sprache vermittelt dem Kind, dem Sprachlernenden Denkmuster. Und man versteht wohl, dass der Deutsche mit seinem regressiven Sprachmuster: die verbale bedeutungsverleihende Form am Ende und die anderen Elemente, die sich je nach Wichtigkeit zum Verb nach links ordnen, eine ganz andere Denkweise entwickelt als der Franzose z.B., der die Elemente seiner Formulierung ganz anders ordnet.
Will ich eine Sprache erwerben, so muss ich mich also in diese Denkweise, die der Sprache zugrunde liegt, hinein fügen. “Sprache lernen” bedeutet, sich in einen anderen Code begeben, der bestimmt, wie die Menschen denken aber auch nicht ohne kulturelle Folgen ist. Denn so gesehen ordnet Sprache die Welt desjenigen, der sie spricht; und dieser Welt, die mir fremd ist, muss ich mich anfreunden.
So ist Spracherwerb nicht bedeutungslos. Mit meiner Muttersprache entdecke ich, erobere ich die Welt, in der ich lebe: ich forme die Welt und ich forme mich. Mit einer anderen Sprache trete ich dann in eine neue Welt ein. Mit zwei, drei Sprachen mache ich mir zwei, drei Welten zu eigen und werde zu einem Weltmenschen.
Armand Zimmer
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